Internationaler Handel, Globaler Handel im Fluss: Disruption, Resilienz und Chance
Erhöhte geopolitische Spannungen und unstete Entwicklungen an der Zollfront sorgen dafür, dass sich Banken und ihre Kunden an eine komplett neue Marktumgebung anpassen müssen.
Senior Trade Advisor Dirk Besdziek analysiert im Interview, wie systemische Schocks die globalen Handelsströme verändern. Er spricht über den sich beschleunigenden Trend zur Regionalisierung und die entscheidende Rolle, die Banken dabei spielen, ihren Kunden zu helfen, unsichere Zeiten zu meistern und gleichzeitig neue Marktchancen zu nutzen.
Im internationalen Handel ist dieses Jahr schon viel passiert. Wie wirken sich die aktuellen geopolitischen Entwicklungen auf die globalen Handelsströme und damit auch auf Trade Finance aus?
Sofort nach der Ankündigung neuer US-Zölle und spätestens seit dem „Liberation Day“ im April 2025 wurden den Zöllen und ihren möglichen Auswirkungen viel Aufmerksamkeit geschenkt. Am deutlichsten zeigten sich diese Auswirkungen jedoch nicht in den Handelsströmen, sondern an den einbrechenden Aktienmärkten, in angepassten Prognosen zum globalen Wachstum von Institutionen wie der OECD und dem Weltwirtschaftsforum sowie in niedrigeren Terminkursen für Containerkapazitäten im Shanghai Containerized Freight Index, die einen Rückgang der Handelsströme aus China vorwegnahmen sowie ein starker Anstieg der Unsicherheitsindizes. Wer genau hinsah, hat sicherlich auch Anzeichen für Frontloading von Exporten in der Zeit von Februar bis April wahrgenommen, um so weit wie möglich drohende Zollsteigerungen zu vermeiden.
Aktuelle Handelsdaten legen nahe, dass der Anteil der Exporte aus der Europäischen Union in die USA im Juni und Juli 2025 im Vergleich zum gleichen Zeitraum im Jahr 2024 geringfügig zurückgegangen ist. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob sich dies aufgrund der im August 2025 vereinbarten endgültigen Zollregelungen zu einem nachhaltigen Trend entwickeln wird. Fundamentale Veränderungen in den relativen Anteilen der Handelspartner Europas werden erst in mittelfristigen bis langfristigen Daten erkennbar sein.
Wie lassen sich diese Schocks in einem umfassenderen makroökonomischen und historischen Kontext einordnen?
Während wir kurzfristige Verschiebungen im Handel beobachten, ist es ebenso wichtig, den langfristigen Hintergrund zu berücksichtigen, vor dem diese stattfinden. Für Korrespondenzbanken findet die Neuordnung des globalen Handels Teil schon seit einiger Zeit statt, bedingt durch viele verschiedene Faktoren und Ereignisse.
Nach der Jahrtausendwende nahmen Regulierungsbehörden verstärkt die Bekämpfung von Terrorismusfinanzierung und Geldwäsche in den Blick. Nach der Finanzkrise im Jahr 2008 konzentrierte man sich auf die Umsetzung einer strengeren Regulierung im Bereich des Risikomanagements. In den 2010er-Jahren wurden Risiken dann umfassend abgebaut, als viele Banken sich aus Korrespondenzbankbeziehungen zurückzogen, die als zu riskant oder nicht mehr nötig erachtet wurden. All das trug dazu bei, dass die globale Trade-Finance-Lücke immer größer wurde.
In den letzten Jahren haben dann regionale militärische Konflikte, die Coronapandemie und der Umbruch der etablierten Welthandelsordnung noch mehr Komplexität in die sich ohnehin schon verändernden Landschaft gebracht. All das erinnert uns daran, dass wir heute nicht am Anfang stehen, sondern auf dem Weg des Wandels nur einen weiteren Schritt gehen.
Wenn man all das berücksichtigt: Gibt es denn Aspekte der aktuellen Situation, die tatsächlich neu sind?
Ein Aspekt ist historisch betrachtet tatsächlich einmalig. Die wirtschaftliche Integration hat sich seit dem Ende des Kalten Krieges stark beschleunigt, und die Welt ist so verbunden und voneinander abhängig wie noch nie.
Das hat dazu geführt, dass Länder einen weitaus größeren Großteil ihres BIP durch Käufe aus und Verkäufe in andere Länder generieren, als es in früheren Zeiten der Fall war. Importe und Exporte machen heute über 50 Prozent des globalen BIP aus und damit so viel wie in den letzten 200 Jahren nicht.
In einer eng verwobenen Weltwirtschaft löst jedes Ereignis eine Kettenreaktion aus – mit der Folge, dass Disruptionen nicht auf eine lokale oder regionale Ebene begrenzt bleiben. Diese Dynamik ließ sich beispielsweise während der Coronapandemie beobachten, die fast so etwas wie ein Testlauf für die aktuelle Lage war.
Nach dem Ausbruch der Pandemie wurde viel über eine Abkehr von Just-in-time-Liefersystemen diskutiert, da unterbrochene Lieferketten dazu führten, dass Hersteller Rohstoffe oder Waren nicht mehr genau dann bekamen, wenn sie benötigt wurden. Im Lagermanagement wurde wieder über die Vorteile des Bestandsaufbaus zur Abfederung potenzieller Lieferkettenstörungen nachgedacht.
Gleichzeitig begannen Unternehmen, nach neuen Absatzmärkten oder näheren Märkten zu suchen, um Risiken besser steuern zu können. Dieser Effekt wurde mit Ausbruch des Krieges in der Ukraine durch Fragen rund um die Versorgungssicherheit zusätzlich verstärkt. Doch angesichts der immer wieder neuen Disruptionen hat sich die globale Situation nicht ausreichend beruhigen können, als dass diese Lieferkettenanpassungen vollumfänglich hätten umgesetzt werden können.
Im Unterschied zu früheren Entwicklungen scheinen die aktuellen geopolitischen Ereignisse eine tiefgreifendere Umgestaltung der regelbasierten globalen Ordnung voranzutreiben, wie wir sie über die letzten 35 Jahre gekannt haben. Die langfristigen Auswirkungen sind noch abzuwarten.
Was glauben Sie, wie Länder und Unternehmen künftig auf Verschiebungen im Handel reagieren werden?
Eines ist klar: Mit Disruption gehen auch immer Chancen einher. Länder verhandeln Handelskorridore neu und bauen neue Handelsbeziehungen auf. In die Verhandlung von Handelsvereinbarungen ist neue Bewegung gekommen: zwischen Europa und dem asiatisch-pazifischen Raum, Indonesien, Indien und den Mercosur-Ländern in Südamerika.
Auf Unternehmensebene scheinen deutsche Akteure zwei Ziele miteinander in Einklang bringen zu wollen. Einerseits will man die engen Beziehungen zu Käufern und Lieferanten in den Vereinigten Staaten und China aufrechterhalten – schließlich handelt es sich bei den beiden nach wie vor um zwei der wichtigsten Handelspartner der Bundesrepublik. Andererseits gibt es Hinweise darauf, dass Unternehmen daran interessiert sind, neue Märkte zu erschließen und sich für Verschiebungen in den Lieferketten wappnen.
Finanzinstitute wiederum haben ihre ganz eigenen Anforderungen und Prioritäten: Im Korrespondenzbankgeschäft ist das Thema Serviceeffizienz so wichtig wie nie zuvor. Bankkunden erwarten schnelle Transaktionen – das erfordert guten Service, verlässliche Prozesse und schnelle Reaktionszeiten. Auch das Thema der Intermediation spielt eine wichtige Rolle. Denn nach Jahren des Risikoabbaus in der Branche haben viele Banken ihre internationalen Beziehungen zugunsten eines regionalen oder sogar lokalen Geschäftsfokus zurückgefahren. Nun verändern sich die globalen Handelstrends und Firmenkunden interessieren sich für neue Handelsmärkte. Daher suchen diese Banken nun nach neuen Partnern, um Unterstützung in Märkten zu erhalten, für die sie entweder keine oder nicht mehr genügend eigene Kapazitäten haben.
Wie bringen internationale Trade-Finance-Banken wie die Commerzbank in turbulenten Zeiten Stabilität und Widerstandsfähigkeit in die Wirtschaft – und wie gelingt es letztendlich, Herausforderungen in Chancen umzuwandeln?
Banken spielen bei der Unterstützung des globalen Handels eine wichtige Doppelrolle: Zunächst einmal erleichtern sie mit traditionellen Instrumenten wie dem Dokumenteninkasso, Akkreditiven und Garantien die Ausführung der Handelstransaktionen als solche. Nicht weniger wichtig ist aber die Steuerung der Risiken, die mit dem Handel einhergehen, d. h. Dokumentenrisiken, Erfüllungsrisiken, Zahlungs- und Finanzrisiken. Banken mit globaler Vernetzung und einer starken Reputation für Integrität und Effizienz sind hierfür am besten aufgestellt.
In einer von Disruption gekennzeichneten Welt werden diese Rollen noch wichtiger – und eröffnen neue Chancen. Kunden werden in neuen Märkten aktiv oder bewerten bestehende Märkte neu. In diesem Umfeld werden diejenigen Banken am erfolgreichsten sein, die ihre Kunden am effektivsten bei der Steuerung von Risiken und Komplexität sowie bei der Integration von Geschäftsprozessen oder Lieferketten in diese neuen Märkte unterstützen können.
Banken müssen nicht nur präsent sein, sie müssen ihre gesamte Infrastruktur an dieser Präsenz ausrichten. Das bedeutet, Produkte an lokale Bedürfnisse anzupassen, egal wie spezifisch diese sein mögen. Das bedeutet, operative Kapazitäten so aufzustellen, dass verschiedene Zeitzonen abgedeckt werden. Und es bedeutet, die Risikobereitschaft an lokale Kontrahenten anzupassen sowie Teams vor Ort mit regulatorischem und kulturellem Wissen auszustatten.
Eine solche Flexibilität und Präsenz in verschiedenen Teilen der Welt ist unglaublich wertvoll, denn sie sorgt für Kontinuität und Kundenvertrauen – und eröffnet so letztendlich neue Geschäftsmöglichkeiten. Kunden mehr als nur Kredite. Ob Firmenkunden oder Banken – der Zugang zu globaler Expertise ist enorm wertvoll, um Chancen in diesen unsicheren Zeiten zu identifizieren und zu nutzen.
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